Besuch aus New York
Bernau (MOZ) Mit seiner Idee, Studenten aus New York, die schon viel gesehen haben, ausgerechnet nach Bernau zu holen, hatte Dozent Dr. Bernd Wittek offenbar genau das erreicht, was er erhofft hatte: Den Studenten und ihrem Professor Alan Feigenberg etwas bieten zu können, was es so vielleicht nirgendwo im Berliner Umland gibt – Zeitgeschichte im Alltag zum Nachfühlen, eindrucksvolle Denkmäler aus verschiedenen Perioden, die vielleicht auch manchem Bernauer in ihrer Bedeutung kaum so bewusst sind.
Die elf Architekturstudenten aus New York studieren im Rahmen eines vom Deutschen Akademischen Austauschdienst geförderten erstmaligen Projekts vier Wochen an der Technischen Fachhochschule in Berlin. In dieser so genannten „Sommerakademie“ erhalten sie die Projektaufgabe, Entwürfe für die Gestaltung der Freiflächen an der Schinkelschen Bauakademie in Berlin zu erarbeiten. Die Studenten kommen aus verschiedenen Ländern, zum Beispiel aus Indien, der ehemaligen Kronkolonie Hongkong, Taiwan, Korea, Italien, Israel, leben aber meist schon lange in New York. Anders als deutsche Studenten sind sie oft schon gestandene Leute zwischen dreißig und fast fünfzig Jahre. Viele mit Erfahrung, zum Beispiel als Manager von Firmen, die in einem zweiten Studium jetzt etwas lernen wollen, das sie ganz ausfüllt. Dr. Wittek sagte, dass sie ganz anders seien als deutsche Studenten, viel fordernder. Übrigens haben auch einige Studenten der Fachhochschule Eberswalde an der Exkursion teilgenommen, die nicht zuletzt auf die New Yorker neugierig waren.
Das Programm begann um im Rathaus mit einem visualisierten Vortrag über die Stadtentwicklung Bernaus, gehalten von Planungsamtsleiter Friedemann Seeger. Erläutert wurde das allmähliche Entstehen Ber-naus bis zu den die Stadt verändernden Ereignissen: Industrialisierung, Nazizeit, sozialistischer Stadtumbau, deutsche Wiedervereinigung. Viele Fragen deuteten auf großes Interesse hin, wie bei der anschließenden Besichtigung der St.-Marien-Kirche mit exzellenten Erläuterungen und bei einer Stadtführung vom Pulverturm vorbei am Kantorhaus bis zum Steintor.
Nach einer kurzen Pause schloss sich ein Besuch des Bauhausdenkmals Bundesschule Bernau, einem Kandidaten für das Weltkulturerbe, mit einer Führung von Dr. Wolfgang Heyn an. „Es gibt wohl kaum ein zweites Gebäude in dieser Region, das architektonisch wie mit seiner unterschiedlichen Nutzung die Brüche in der deutschen Geschichte so verdeutlicht wie dieses, vom marxistisch-humanistischen Entwurf für alle in der Bauhausschule bis zur Planung von Verbrechen im zweiten Weltkrieg“, so Dr. Bernd Wittek.
Prof. Feigenberg war sichtlich wie „elektrisiert“, in dem für die heutige weltweite Architektur so wichtigem Projekt von Meyer und Wittwer zu stehen, welches er bisher nur von Abbildungen aus Architekturfachbüchern her kannte. Danach schloss sich ein eigentlich ungeplanter Besuch in der GUS-Kaserne am Schönfelder Weg an, durch die der spontan von der Haustür abgeholte Prof. Kaltenborn begeisternd führte.
Den Tag beendete die Besichtigung des „atomsicheren Bunkers“ der ehemaligen NVA-Raketeneinheit Ladeburg. „Dieser macht den Hochrüstungswahnsinn in den achtziger Jahren nacherlebbar. Trotz Vorbereitung der Studenten war die Bunkerführung ein Erlebnis, das sie sich zwar zuvor versucht hatten vorzustellen, dann aber doch noch wesentlich bedrückender fanden, als sie es erwartet hatten“, erzählt Wittek.
Für viele der New Yorker Studenten war es auch neu, was ihr amerikanischer Professor ihnen dann plötzlich über seine Schulzeit in den fünfziger Jahren erzählte. Damals sei trainiert worden, wie sich die Kinder beim Atomblitz hinlegen sollten. Was der so genannte „Kalte Krieg“ wirklich bedeutete, wurde hier auch für die Studenten aus Eberswalde sehr deutlich.
„Bernau bietet ganz kompakt die Möglichkeit, Entwicklungen und ganz normales Alltagsleben nachzuempfinden“, fasst Friedemann Seeger zusammen. „Begegnungen dieser Art eignen sich auch stets dazu, um Klischees zu hinterfragen, etwa in dem Moment, als der amerikanische Professor in einem Bernauer Innenhof ausrief, dass dies überhaupt nicht hässlich sei, ganz im Gegenteil. Nicht so, wie er das sonst oft vermittelt bekomme.
Dr. Wittek dankte den sieben Bernauern, die die Studenten (überwiegend) unentgeltlich betreuten, besonders Rolf Brunssen aus Schönow, der sehr viel gedolmetscht hat.
Die Studenten kommentierten den Tag immer wieder mit „It was so strong!“, also mit „völlig überwältigend“. Einige haben auch gesagt, dass sie diesen Tag wohl nie im Leben vergessen werden, da alles Erleben so intensiv war. Schön für Studenten, wenn es eine Wiederholung geben könnte, schön auch für Bernau.
Märkische Oderzeitung; Dienstag, 11. Juli 2006 www.moz.de