Flugabwehrraketengeschwader 52
Mit den politischen Veränderungen in der DDR im Jahre 1989 veränderte sich auch die Situation der NVA grundlegend. Militärreformen sorgten dafür, dass Abrüstung und Friedenssicherung die oberste Priorität hatten. Aus dem Ministerium für Nationale Verteidigung wurde das Ministerium für Abrüstung und Verteidigung. Erste NVA-Dienststellen wurden Anfang 1990 aufgelöst, die Gefechtsbereitschaft gesenkt, Soldaten entlassen und die NVA wurde im September 1990 aus dem Bündnis des Warschauer Vertrages herausgelöst. Auch für die Bundeswehr und die NATO änderte sich die Situation grundlegend, denn das ursprüngliche Feindbild existierte nicht mehr. Die umfangreichen politischen Veränderungen in den ehemaligen Ostblockstaaten und das Steben nach Frieden führten zum Ende des Kalten Krieges. Das Bündnis des Warschauer Vertrages wurde zum 1. Juli 1991 aufgelöst. Die Sowjetunion, die das Handeln des Verteidigungsbündnisses maßgeblich beeinflusste zerfiel im Dezember 1991. All diese Veränderungen sorgten auch dafür, dass auch die Aufgaben, Planungen und Strukturen in der Bundeswehr sehr kurzer Zeit immer wieder angepasst werden mussten.
Im Sommer 1990 wurden die Voraussetzungen für die Annäherung der beiden Armeen, Bundeswehr und NVA, geschaffen und es kam zu ersten gegenseitigen Besuchen der ehemaligen Gegner. In Vorbereitung auf die baldige Wiedervereinigung wurden von der Bundeswehr Unterstützungsgruppen für die Übernahme der NVA Standorte gebildet. Die Unterstützungsgruppen zur Übernahme der 41. Fla-Raketenbrigade traf am 2. Oktober 1990 in Ladeburg und Badingen / Osterne ein.
Ebenfalls wurde am 02. Oktober 1990 das Traditionskabinetts der Brigade aufgelöst und an das Militärhistorische Museum Dresden übergeben. In dieser Sammlung befanden sich unter anderem die Truppenfahne, erhaltene Auszeichnungen, Wimpel, Plastiken, Gastgeschenke, Modelle, Urkunden und auch das Kasernenschild.
Am 03. Oktober 1990 erfolgte der Beitritt der DDR zur BRD, die Wiedervereinigung war vollzogen. Damit war auch die NVA aufgelöst und die Bundeswehr übernahm die ehemaligen Standorte. Die ehemaligen NVA-Soldaten und ihre Familien blickten in eine ungewisse Zukunft. Es gab die Möglichkeit einen Antrag auf Übernahme in die Bundeswehr zu stellen, bei einer Zustimmung wurde dann über ihre weitere Verwendung in den nächsten zwei Jahren entschieden. Jedoch war dies auch für viele mit Einschränkungen verbunden, Beispielsweise Rückstufung des Dienstgrades. Ein Start in das zivile Leben, für die, die freiwillig ihren Dienst beendeten oder entlassen wurden, war ebenso eine große Herausforderung. Die Wirtschaft der DDR war zusammengebrochen, es herrschte eine hohe Arbeitslosigkeit und eine große Ablehnung in der Bevölkerung gegen die ehemaligen Angehörigen der bewaffneten Organe der DDR.
Stand 03. Oktober 1990 betrug die Personalsärke 1140 Mann.
Am 4. Oktober erfolgte die Übergabe des Kommandos über die 41. Fla-Raketenbrigade von einem ehemaligen NVA-Offizier an einen Bundeswehroffizier. Für die neuen Kommandeure war dies eine Herausforderung, die Organisation, Abläufe und Technik waren für sie neu und unterschieden sich volkommen von den ihnen bisher bekannten Strukturen.
Viele der ehemaligen NVA-Standorte wurden nicht mehr benötigt, schnellstmöglich abgewickelt und geschlossen. Von der 41. Fla.-Raketenbrigade sollten nur die Standorte des Stabes (Ladeburg) und der FRAG – 411 (Badingen / Osterne) mit dem Waffensystem S-200 eine kurze Zukunft als Bundeswehrstandorte haben.
Die Waffensysteme S-75 und S-125 wurden außer Dienst gestellt. Die FRA-4121, FRA-4122, FRA-4124 FRA-4133 und FRA-4134 sollen bis Ende März 1991 aufgelöst werden. Ausrüstung und Waffensysteme aus den aufzulösenden Abteilungen wurden ab Ende November 1990 zu den Standorten Ladeburg und Klosterfelde abtransportiert und dort gesammelt. Schwerpunkte der folgenden Monate sind die mit der Übernahme verbundenen Reorganisation, die Auflösung und Abwicklung der Standorte, die Enttankungkung und Demontage der S-75 / SA-2 Raketen, der Umgang und die Entsorgung des Raketentreibstoffs und Öffentlichkeitsarbeit. Was vor wenigen Monaten noch streng geheim war konnte jetzt gelüftet werden. Es fanden Gespräche mit Vertretern der Städte und Gemeinden und auch der Presse statt, Themen waren Vorstellung der Bundeswehr und die Zukunft der Standorte. Auch wurde seitens der Bundeswehr untersucht ob und mit welchem Aufwand ein Weiterbetrieb des -Waffensystems S-200 möglich ist. Gerade wegen dieser Fragen werden die Sandorte Ladeburg und Badingen / Osterne in den nächsten Monaten immer wieder von ranghohen Militärs und Vertretern des Verteidigungsministeriums besucht. Auch Vertreter der NATO-Verbündeten nutzten die Gelegenheit den automatisierten Gefechtsstand und das Waffensystem S-200 zu besichtigen. Wo sonst konnte man sich diese, zu diesem Zeitpunkt modernen und aktuellen Systeme potentieller Gegner, von fachkundigem und gut ausgebildetem Personal demonstrieren lassen.
Ranghohe Besucher waren beispielsweise:
- der Befehlshaber des Bundeswehrkommandos Ost, Generalleutnant Jörg Schönbohm (1991)
- Generalinspekteur der Bundeswehr General Klaus Neumann (1992)
- der Chairman of the Joint Chiefs of Staff General Colin L. Powell (1992)
aber auch ehemalige Verbündete der GUS Streitkräfte, wie der Kommandeur der 90. Garde Panzerdivision aus Bernau, Generalmajor Surjadny (1992)
Ab Dezember 1990 lautet der neue Auftrag für die Brigade:
Die 41.Fla-Raketenbrigade trägt mit Kräften und Mitteln nach den Vorgaben des Kdo LSK/LV zur Luftlageerstellung bei und stellt die durchgehende Führungsbereitschaft sicher.
Die Konversion der Brigade wird fortgesetzt und zwischen Januar und August 1991 werden auch die mehr benötigten Liegenschaften der aufzulösenden Abteilungen abgegeben. Als neues Problem zeigt sich der schnell einsetzende Vandalismus auf diesen Arealen.
Die FRA-4121, FRA-4122, FRA-4124 FRA-4133 und FRA-4134 sind am 31. März 1991 aufgelöst und werden für die restliche Abwicklung dem Abwicklungsstab Süd unterstellt.
Ab 01. April 1991 wird der Aufstellungsstab Fla-Raketengeschwader 52 (FlaRakG 52) eingerichtet. Ihm unterstehen Stab, Technische Abteilung, Funktechnische Abteilung der 41. FRBr. (Standort Ladeburg), die FRAG-411 (Standort Badingen / Osterne), die FRA-4123 (Klosterfelde) FRA-4131 ( Schönermark) und FRA-4132 (Fehrbellin).
Nach ersten Planungen soll bis 1994 / 1995 das FlaRakG 52 mit dem Waffensystem „Patriot“ ausgerüstet werden. Im Zuge der Aufstellung des Geschwaders und der Suche nach geeigneten Objekten fanden auch Untersuchungen weiterer in der Nähe befindlichen ehemaligen Militärobjekte statt, Beispielsweise die ehemalige Führungsstelle des Nationalen Verteidigungsrates ( NVR) bei Prenden, die ehemalige Führungsstelle de MfS bei Biesenthal und der ehemalige Kurier und Meldepunkt / Hubschrauberlandeplatz des NVR bei Bernau.
Bis Ende Juni 1991 ist der Raketenreibstoff der S-75 Raketen entsorgt.
Zum 1.Juli 1991 werden die FRA-4131 (Schönermark) und FRA-4132 (Fehrbellin) außer Dienst gestellt und bis Ende August die Standorte der beiden FRA geschlossen.
Ab 21. August 1991 wird der Gefechtsstand – der Bunker Ladeburg – in die militärische Luftraumüberwachung der neuen Bundesländer einbezogen und aus seiner Ursprünglichen Funktion der Waffensystemführung und Jägerleitung entlassen. Mit der geänderten Aufgabe wurden auch Radarsysteme auf dem Areal des Gefechtsstandes umgerüstet und umgesetzt.
Am 01. Oktober 1991 erfolgt die Indienststellung des FlaRakG 52.
Die Personalstärke betrug zu diesem Zeitpunkt nur noch 355 Mann.
Das Geschwader bestand aus Stab, Stabs- und Versorgungsstaffel, Luftwaffensanitätsstaffel ( Standort Ladeburg ), 1.Staffel ( Feuerleitzug und Abschusszug ) und 2.Staffel (Ingeneurtechniche Unterstützung, Raketenmontage und Betankung, Verpflegung, Fernmeldewesen, Nachschubunterstützung) am Standort Badingen / Osterne.
Aufgabe des FlaRakG 52 ist der Schutz des Luftraumes über den neuen Bundesländern bis zum Abzug der sowjetischen Streitkräfte im April 1992. Das FlaRakG 52 hat den Auftrag mit dem Waffensystem S-200 einen zeitlich begrenzten Beitrag zur Luftverteidigung in der 5. Luftwaffendivision zu leisten. Es soll die Einsatzbereitschaft erhalten und nach Ende der Nutzung des Waffensystems bei der Konversion unterstützen. Außerdem soll es bei der Vorbereitung der Verlegung eines gemischten PATRIOT / HAWK Raketengeschwaders in die neuen Bundesländer mitwirken.
Zum ersten Jahrestag der Wiedervereinigung wurde am Standort Osterne „Tag der Begegnung“ veranstaltet. An diesem Tag konnte die Öffentlichkeit den Standort besichtigen. Neben einem Unterhaltungsprogramm gab es auch umfangreiche Besichtigungsmöglichkeiten der Feuerstellungen und des Waffensystems S-200 WEGA sowie Vorführungen der Technik. Ein Jahr vorher wäre dies noch undenkbar gewesen.
Im November 1991 werden auf dem Gelände des Gefechtsstandes die Radarsystem P-15 und P-18 abgebaut und im Dezember die verblieben P-37 Radarstationen mit Freund / Feind Kennungssystem von Siemens ausgestattet, wovon eine im Januar 1992 im Standort Osterne aufgestellt wird.
Am 07. September 1992 wird der Einsatzauftrag für das Waffensystem S-200 beendet und es beginnen die ersten Schritte zur Außerdienststellung des Standortes Badingen / Osterne. Der Abbau des Waffensystems beginnt Ende Oktober 1992. Bis Ende September sind auch die letzten S-75 und S-125 Raketen aus dem Standort Ladeburg abgezogen.
Ende Dezember 1992 ist das Lager in Ladeburg (B-Objekt) von aller Technik beräumt und wird abgegeben.
Am 10. Dezember 1992 erfolgte die Außerdienststellung des Gefechtsstandes – des Bunkers Ladeburg – und die Außerdienststellung der S-200 Systeme. Der Radarführungsauftrag des Geschwaders endet am 16. Dezember 1992. Die Fernmeldezentrale im Bunker wird am 20. Dezember abgeschaltet.
Zum 31. Dezember 1992 wurde der Standort Klosterfelde geschlossen. Der Einsatzauftrag für das FlaRakG 52 ist beendet und die 1.und 2. Staffel werden aufgelöst.
Ab Januar 1993 gibt es die ersten Vorbereitungen für eine mögliche Verlegung des Fla.-Raketengeschwader 2 (FlaRakG 2) von Bremervörde nach Ladeburg.
Im März 1993 wurde durch das Bundesministerium für Verteidigung die Auflösung des FlaRakG 52 bis zum Ende des Jahres beschlossen. Es wird jedoch weiterhin vorgesehen den Standort als neuen Standort für Fla-Raketengeschwader 2 mit dem Waffensystem Patriot zu nutzen. Das Nachkommando des FlaRakG 52 wird dem FlaRakG 2 unterstellt.
Im September 1993 ist der Abtransport des Waffensystems S-200 aus Badingen / Osterne abgeschlossen. Ein Teil der Technik wurde zu Erprobungen in die USA abtransportiert. Am 30. September wird der Standort geschlossen.
Die feierliche Ausserdienststellung des Fla-Raketengeschwaders 52 erfolgt am 15. Dezember 1993.
Am 31.Dezember 1993 wird das Geschwader aufgelöst.
Im Juni 1994 wird der Stab des Flugabwehrraketengeschwaders 2 von Bremervörde nach Ladeburg verlegt. Dies ist allerdings nur eine Zwischenstationierung, im September 1996 wird das Geschwader nach Bad Sülze verlegt. Zur Verlegung der Waffensysteme PATRIOT oder HAWK nach Ladeburg und dem längerfristigen Ausbau als Bundeswehrstandort ist es nicht gekommen.
Ende 1996 wird die Kaserne in Ladeburg und damit der Standort endgültig geschlossen.
Quellen:
- Dem Feind Keine Chance – Immer Gefechtsbereit – Vom Flakregiment-16 und Fla-Raketenbrigade-16 zur 41. Fla-Raketenbrigade, Udo Finger
- Die 5. Luftwaffendivision Chronik, Major i.G. Gräbelein, Berlin 1995
- Deutscher Bundestag 12. Wahlperiode Drucksache 12/5098
- Protokoll der 59.Sitzung des NVR am 23. November 1979 DVW 1/39520
- Militärlexikon, Militärverlag der DDR, 2. Auflage, Berlin 1973
- Maurer Bauingenieur Leutnant Generalleutnant 34 Soldat der NVA im Kalten Krieg, Wolfgang Kaiser, 2020
- Missile Splitter Ausgabe Jan / Feb‘93
- Märkische Oderzeitung, 3. April 1991
- Märkische Oderzeitung 8. Oktober 1991